Prof. Dr. Helmut Reichling zu Themen von gestern, heute und morgen
aktualisiert am: 11.02.2016 Flüchtlingskrise und Völkerwanderung
Als noch vor wenigen Jahren der Begriff „demographischer Wandel“ in aller Munde war und die Bundesländer, Städte und Gemeinden es als ihre vorrangige Aufgabe ansahen, sich auf diese Entwicklung einzustellen, als überall Kindergärten geschlossen und Schulen umstrukturiert wurden, als die Statistiker wahre Horrorszenarien von verlassenen Dörfern und verödeten Städten in die Welt setzten, war die vorherrschende Meinung: „Deutschland stirbt aus“.
Damals
habe ich mich in verantwortlicher kommunaler Funktion dagegen gewehrt, den
Zukunfts-vorstellungen der Statistiker zu folgen. Es erschien mir auf der Basis
des Wissens um das menschliche Verhalten unwahrscheinlich, dass ein großes und
reiches Land wie die Bundesrepublik Deutschland ausstirbt und gleichzeitig die
Weltbevölkerung rasant weiter wächst.
Schon
damals habe ich die Vision einer „neuen Völkerwanderung“ geäußert, und
vielleicht erleben wir gerade jetzt dieses historische Phänomen, das uns aus
den Geschichtsbüchern bekannt ist oder bekannt sein sollte.
Die
Ereignisse, die allgemein als „Völkerwanderung“ bezeichnet werden, fanden
zwischen den Jahren 375 -Eroberungen durch die Hunnen in Südosteuropa- und 480
-Entstehung des Königreiches unter Odoaker in Italien- statt: Eine Periode von
rund 100 Jahren, die das Gesicht Europas grundlegend veränderte.
Entgegen
unserer allgemeinen Vorstellung, die wir vielleicht noch aus der Schulzeit im
Kopf haben, fielen damals keine wilden Armeen germanischer Barbaren in das
römische Reich ein und überrannten die Grenzbefestigungen des Imperiums. Es
waren auch keine starken und Entbehrungen gewohnten Krieger, denen die
verweichlichten Römer nichts entgegenzusetzen hatten. Die „Völkerwanderung“
begann ganz anders und nahm einen bemerkenswerten Verlauf:
Zur
Zeit des Kaisers Konstantin (277-337), den spätere Generationen den Großen
nannten, war das römische Reich noch sehr stark. Die Münzreform mit der Einführung des
„Solidus“, einer stabilen, in ganz Europa akzeptierten Währung, beendete die
Inflation. Die wirtschaftliche Produktivität stieg und die Städte und Provinzen
profitierten von umfassenden Handelsbeziehungen, besonders vom Fernhandel in
nichtrömische Reiche.
Das
Gebiet des Imperium Romanum war von außen nicht bedroht und nach Meinung
heutiger Historiker so stark wie seit langem nicht mehr.
Eine
Generation nach Konstantin wurde Kaiser
Theodosius I. (347-395) geboren. Auch ihm wurde später der Ehrenname der Große
zugebilligt. Während seiner Regierungszeiten kamen erstmalig große Gruppen von
„Germanen“ ins römische Reich. Es waren Goten, die um das Jahr 376 vor den
Hunnen über die Donau geflüchtet waren und bei den Römern um Asyl baten.
Die
Goten, die als Hilfesuchende ins Land kamen, wurden freundlich empfangen und
der römische Staat unternahm große Anstrengungen, um sie zu integrieren.
Theodosius
I. erließ im Jahr 382 die sogenannten Gotengesetze, stellte damit die
Einwanderer unter besonderen Schutz und sicherte ihren Lebensunterhalt.
Ziel
dieser völkerrechtlichen Regelung (lat. Foedus),
die nach Ansicht der meisten Historiker den Wendepunkt der römischen Geschichte
markiert, war die Integration dieser Menschen in die römische
Gesellschaft.
Die
angesiedelten gotischen Familien wurden zu Bewohnern des Römischen Reiches. Der
Staat garantierte den Einwanderern Unterhalt und Versorgung. Als Gegenleistung
hatten sie sich in das römische Gemeinwesen zu integrieren und römischen
Kriegsdienst zu leisten. Als
Befehlshaber fungierten dabei allerdings nicht römische Offiziere, sondern
eigene Feldhauptleute der Goten.
Es
entstand also im Rahmen der Gültigkeit dieser gesetzlichen Regelung eine
Parallelgesellschaft mit all ihren Vor- und Nachteilen.
Aus
humanitären Gründen und auf der Basis seiner christlichen Überzeugung förderte Kaiser Theodosius I. diese Integration der
Einwanderer, die man „Foederalen“ oder „Foederati“ nannte. Der spätantike
Geschichtsschreiber Jordanes bezeichnet deshalb Theodosius I. als „Freund des
Friedens und des gotischen Volkes“ (Getica, 29,145)
Doch
schon nach kurzer Zeit rebellierten die Flüchtlinge. Der Grund war die
angeblich schlechte Versorgungslage und die nicht erfüllten Erwartungen
gegenüber dem römischen Staat.
Diesen
Unruhen gegen die Römer schlossen sich die ebenfalls vor den Hunnen geflohenen
Alanen und der Volksstamm der Greutungen an. Neben den Goten hatten auch diese
beiden Volkstämme ursprünglich versprochen, sich im römischen Reich zu
integrieren. Bei den Aufständischen befanden sich auch Hunnen, die sich erfolglos gegen ihre
Häuptlinge erhoben und im römischen Reich Asyl gefunden hatten.
Nur
durch die hastige Aufstellung einer „Bürgermiliz“ konnten Plünderungen und
blutige Ausschreitungen weitgehend verhindert werden.
Die
Politik von Theodosius I. war nicht unumstritten. - Im westlichen Teil des römischen Reiches putschten
sich zwei „Gegenkaiser“ “ an die Macht. Da die militärische Stärke der Truppen,
auf die Theodosius zurückgreifen konnte, sehr begrenzt war, musste er in seine
Armee eingegliederte Flüchtlinge (Foederaten) aufbieten, um die „Gegenkaiser“ zu überwinden.
Das
dadurch erstarkte Selbstbewusstsein und die zunehmende Emanzipation der Goten
von der römischen Kultur und Lebensweise zwang Theodosius I. allmählich zu
einem Kurswechsel.
In
der gotisch-stämmigen Bevölkerung hatte sich Alarich (370-410) inzwischen als
charismatischer Führer profiliert. Er war bereits Einwanderer in der zweiten
Generation und in der römischen Provinz Thrakien geboren. Alarich diente in der
römischen Armee als hoher Offizier der „Foederati“ und führte die im römischen
Heer integrierten gotischen Truppen, angeblich 20.000 Mann. In dieser Funktion
sicherte Alarich dem Kaiser Theodosius I. den Sieg über die Gegenkaiser.
Allerdings
hatten die Männer Alarichs bei diesen Schlachten besonders hohe Verluste. Das
Verhältnis zum Kaiser galt deshalb als gestört.
Beim
Tod Theodosius I. und der Aufteilung des Reiches auf seine beiden Söhne (Ostrom
und Westrom) beabsichtigte der neue Kaiser Ostroms, die „Foederati“ ohne
Entschädigung aus der Armee zu entfernen. Es kam zu einer Meuterei führte, die
von Alarich angeführt wurde.
Die
Soldaten, die jetzt ohne Verpflegung waren, sicherten sich ihren
Lebensunterhalt durch Plünderungen in den umliegenden römischen Städten.
Nun
wurde die Lage gänzlich verworren:
Die
aufständischen Goten wurden zunächst von dem römischen Feldherrn Stilicho
bekämpft. Als dieser dem Kaiser zu mächtig und zu einflussreich wurde, änderte
man die Haltung gegenüber den Foederati. Nun brauchte man die Einwanderer in
der Auseinandersetzung mit Stilicho. Den Goten wurde die Provinz Illyrien als Siedlungsgebiet
zugeteilt und eine gute Versorgung in Aussicht gestellt. Zudem ernannte der Kaiser Alarich zum
„magister militum“( Feldmarschall).
Um
das Jahr 400 zog Alarich über die Balkanroute ins weströmische Reichsgebiet
gegen Stilicho: Sein Ziel war Rom.
Die
römischen Legionen in Gallien, Hispanien und Britannien wurden von Stilicho von
dort abgezogen, um das römische Kernland
zu verteidigen. In diesen nunmehr praktisch aufgegebenen Reichsteilen siedelten
sich die Vandalen, Sueben und die bereits schon erwähnten Alanen an. Die
ursprüngliche gallo-römische Bevölkerung wurde zur Minderheit im ehemaligen
Imperium.
Stilicho
konnte Alarich und die Goten in Italien in mehreren Schlachten abwehren. Dann
jedoch verbündete er sich mit Alarich, um den Kaiser des oströmischen Reiches zu
bekämpfen.
Danach
gab es im römischen Reich, oder besser gesagt, im ehemaligen römischen Reich
kein Halten mehr. Die Rheingrenze und die durch den Limes gesicherte Grenze waren
zusammengebrochen, mit jedem Tag
strömten immer mehr Menschen; Männer, Frauen und Kinder über die Grenze und
blieben.
Alarich
befand sich mit seinen Leuten wieder im östlichen Reichsteil. Er forderte vom
Kaiser den Ersatz seiner Aufwendungen, die er mit 4.000 Pfund Gold bezifferte. Obwohl
dies eine pure Erpressung war, bewilligte der römische Senat diese Summe, weil
man Alarich und die Foederati für den Kampf mit dem neuen Gegenkaiser im
westlichen Reichsteil brauchte.
Stilicho
konnte zwar auf diese Weise enggültig ausgeschaltet werden, doch nun bekamen
die Römer wieder zunehmend Angst vor ihren Neubürgern. Die Gesetze zugunsten
der Foederati wurden aufgehoben und in Westrom brachen Unruhen gegen die „Barbaren“
im Land aus. Man ermordete wahllos
Männer, Frauen und Kinder.
Allerdings
hatte man die Selbstsicherheit und die Macht der Foederati unterschätzt: Alarich,
der nun nicht mehr im Sold Roms stand, rückte mit ca. 30.000 Mann auf die
ehemalige Hauptstadt des Imperiums vor und zwang die Bevölkerung der Stadt Rom zu
einer Schutzgeldzahlung von 2.000 Pfund Gold.
Der
Gotenführer bestimmte nun seinerseits einen gewissen Priscus Attalus zum
weströmischen „Gegen-Kaiser“. Dieser Marionettenkaiser ließ die alten
Gotengesetze wieder in Kraft treten.
Trotzdem
plünderten die Goten im Jahr 410 Rom, nachdem die Bürger ihnen die Tore
geöffnet hatten.
Diese
Plünderung verlief recht human. Die Goten schonten alle Kirchen und die
Menschen, die dorthin geflüchtet waren,
die Goten und andere Foederati waren zu dieser Zeit Christen, also bereits in
die römisch-christliche Kultur integriert.
Sie
waren also keine „heidnischen Barbaren“, die in Rom wüteten, sondern durchaus
kultivierte Bürger mit Migrationshintergrund, die überwiegend bereits seit
Generationen im römischen Reich lebten und von einem römischen Feldmarschall
angeführt wurden.
Als
Alarich mit knapp 40 Jahren starb, waren die Goten aus dem römischen Staat
nicht mehr wegzudenken. Seine Nachfolger fühlten sich so stark, dass sie einen
„rex“ (König) wählten, der relativ selbständig im ehemaligen Imperium über
„seine“ gotischen Untertanen regierte.
15
Jahre nach der ersten Plünderung Roms herrschte im weströmischen Reich
Valentian II. (419-455). Weil er bei seiner Thronbesteigung erst 6 Jahre alt
war, kann man eigentlich nicht von einer Herrschaft im eigentlichen Sinne
sprechen. Der „starke Mann“ Roms war der römische Heerführer Aetius (390-454).
Im heutigen Bulgarien geboren, eiferte er seinem Vorgänger Stilicho nach.
Der
ebenfalls einflussreiche römische Heerführer Bonifatius rief während eines
Kampfes um die politische Vorherrschaft im Staat die Vandalen ins Land und
gewann sie als Foederati zur Überwindung seines Gegenspielers Aetius.
Das bekannte Muster wiederholte
sich. Die Vandalen rebellierten ebenfalls nach kurzer Zeit wegen der schlechten
Versorgungslage und nicht eingehaltener Erwartungen gegen die immer weiter
böckelnde römische Staatsgewalt. Sie gründeten unter ihrem Anführer Geiserich
einen eigenen Staat im römischen Reich.
Im Jahr 442 erhielt Geiserich das
ehemals zum Imperium gehörende Nordafrika offiziell zugesprochen. Damit hatten
die Vandalen die römische Lebensmittelversorgung aus Afrika in der Hand und
konnten Rom jederzeit von den Kornlieferungen abschneiden.
Das sogenannte weströmisch Reich
war zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Spielball unterschiedlicher Interessen: In
Hispanien hatten sich die Sueben und Westgoten etabliert. Im ehemaligen Gallien
konnte Aetius lediglich die wenigen größeren Städte für Rom behaupten. In der
übrigen ehemaligen Provinz Gallien versorgten sich eingewanderte fränkische
Stämme selbständig durch Plünderungen in den heutigen Städten Treveris (Trier),
Civitas Remorum (Reims) und Bonna (Bonn). Im heutigen England hatten die
Angelsachsen, zunächst als Foederati für die abgezogenen römischen Truppen
eingesetzt, die Kontrolle über die Insel übernommen.
In diesem Moment des Zerfalls des
römischen Reiches müssen wir nochmals einen Blick auf die Hunnen werfen: Wie
wir gesehen haben, begann der Flüchtlingsstrom in den Jahren 376-380, als die
ersten Einwanderer vor den Hunnen ins Imperium geflohen waren und als Foederati
aufgenommen wurden.
Nun, 60 Jahre später lebte bereits
die dritte Immigranten Generation dort, wo früher Rom herrschte. Die Hunnen hatten
sich ihrerseits im Gebiet des heutigen Ungarn festgesetzt und gedachten auch
dort zu bleiben. Sie starteten Überfälle auf römisches Gebiet und erpressten
Schutzgelder von römischen Städten im Donaugebiet. Im Übrigen hatten sich Römer
und Hunnen mehr oder weniger arrangiert.
Gegen hohe
„Unterstützungszahlungen“ waren die Hunnen sogar bereit, der römischen Armee
gegen die Gegner Roms oder besser gesagt, gegen die Gegner der jeweiligen
römischen Machthaber behilflich zu sein.
Aetius,
der römische Befehlshaber, der in seiner Jugend bei den Westgoten und Hunnen
gelebt hatte, und deren Denkweise und Kultur verstand, konnte im Jahr 425
erstmals die Hunnen als Foederati gewinnen. Er setzte deren Truppen im Kampf mit
dem „Gegenkaiser“ Johannes auf italienischem Boden ein. Mit Hilfe der Hunnen
gewann Aetius immer mehr an Macht. Der römische Staat allerdings wurde dabei immer
bedeutungsloser.
Es
kam sogar soweit, dass sich der römische Kaiserhof gegen eine Machtintrige des
Aetius nicht anders zu helfen wusste, als dass die Schwester des Kaisers den
Hunnenführer Attila um Hilfe gegen Aetius bitten musste und ihm sogar die Ehe
versprach. Als fähigem und intelligentem
Heerführer war es Attila (ca.390-453) gelungen, einen Teil der hunnischen
Stämme zu einen. Auch er gehörte erst der dritten Generation von Einwanderern
im eroberten Donauraum an.
Aufgrund
dieses Hilferufes rüstete Attila gegen Aetius, der zuvor von ihm unterstützt
wurde. Es kam zu der berühmten Schlacht bei den Katalaunischen Feldern im
heutigen Frankreich.
Auf
der Seite des Aetius standen römische Truppen, überwiegend aus Foederati
bestehend und Goten, die damals wieder mit den Römern verbündet waren. Der
Gotenfürst fiel im Gefecht doch der Vormarsch
der Hunnen war gestoppt.
Dieser
Kampf wird in älteren Geschichtsbüchern als Verteidigung des kultivierten
römischen Reiches gegen die wilden hunnischen Barbarenhorden gefeiert. In
Wirklichkeit stritten sich zwei starke Persönlichkeiten Aetius und Attila, beide
offiziell im Auftrag Roms, um ihre persönliche Macht.
Nach
diesem Gemetzel war das Ende des Imperiums vorherzusehen. Römer und Goten waren
so ausgeblutet, dass keine Reserven mehr vorhanden waren.
Attila
konnte bis Rom durchmarschieren. Aetius
hatte keine Mittel mehr, um ihn
aufzuhalten.
Um
die Tatsache, dass Attila nicht Rom eroberte obwohl er im wahrsten Sinne des
Wortes kurz davorstand, ranken sich zahlreiche Legenden. Die schönste davon ist
diejenige, dass Papst Leo ihm entgegengezogen sei und ihn mit Hilfe der
Heiligen Peter und Paul von der Eroberung der ewigen Stadt abgehalten habe.
Jede Legende hat einen wahren Kern. Man kann davon ausgehen, dass der Papst den
Hunnenfürsten davon unterrichtete, dass in Rom die Pest wütet, was der Wahrheit
entsprach.
Attila
konnte also nicht der Schwager des schwachen römischen Kaisers werden und
heiratete im kommenden Jahr die Germanin Ildico. Er verstarb allerdings in der
Hochzeitsnacht.
Nach
Attila zerfiel das Hunnenreich so schnell wie es entstanden war. Ein Jahr vor
Attila kam für seinen Gegenspieler Aetius das Ende. Kaiser Valentinian III. sah
kein anderes Mittel, den Heerführer Aetius zu entmachten, als diesen mit
eigener Hand zu ermorden. Wenig später wurde der Kaiser von seiner Leibwache getötet.
In
der nunmehr einsetzenden raschen Folge von Kaisern und Gegenkaisern im Westen
und durch den wachsenden Einflusses von Personen, deren Vorfahren in das Gebiet
des ehemaligen römischen Reiches gekommen waren, zerbröselte das alte Imperium
Romanum immer weiter.
Der
letzte Kaiser, der im weströmischen Reich herrschte, Romulus (460-510?), der
den Spottnamen Augustulus (Kaiserlein) trug, wurde vom römischen Offizier
germanischer Herkunft Odoaker (433-493) abgesetzt. Odoaker war Thrüringer und diente
im Heer des Attila, bevor er in der römischen Armee die Foederati befehligte.
Als
den Foederati erneut die Gleichstellung mit den römischen Soldaten verwehrt
wurde, stellte sich Odoaker an die Spitze der Meuterer und setzte sich gegen
die bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpften römischen Truppen durch. Er
ließ sich zum „König von Italien“
ausrufen und im Jahr 480 vom oströmischen Kaiser anerkennen. Der kleine weströmische
Kaiser war so überflüssig geworden wie das gesamte zusammengebrochene Imperium
Romanum, aber er erhielt von Odoaker noch eine Rente zur Sicherung des
Lebensunterhaltes.
Von
der Ankunft der ersten Flüchtlinge bis zum Ende des Imperiums Romanum, von der
Willkommenskultur eines Theodosius I. bis zur Hilfe zum Lebensunterhalt für den
Kaiser durch gotische Sozialleistungen, waren gerade einmal 100 Jahre vergangen.
Diese
sogenannte Völkerwanderung, die eigentlich gar keine Völkerwanderung war, zeigt
viele Parallelen zur Entwicklung in Deutschland im Jahre 2016.
Schlussfolgerungen:
1. Menschen, die vor kriegerischen
Bedrohungen fliehen, lassen sich nicht aufhalten, weder mit Grenzbefestigungen
noch mit Gewalt.
2. Zivilisierte Staaten auf einem
hohen wirtschaftlichen und kulturellen Niveau, üben immer eine starke
Attraktivität zur Zuwanderung von Menschen aus, die ihre persönliche Situation
verbessern wollen.
3. Eine Integration der Zuwanderer
in die vorhandene Bevölkerung in der Weise, dass die Zuwanderer vollständig die
Kultur, Sitten und Lebensweise annehmen, gelingt in keinem Fall. Bestenfalls
kommt es zu einem Wandel der vorhandenen Lebensweise in den die Einflüsse
verschiedenen Kulturen noch nach vielen Generationen nachwirken. Zumeist entstehen
Parallel-Gesellschaften.
4. Zuwanderer, die sich zunächst
damit begnügen, einen sicheren Zufluchtsort gefunden zu haben, stellen nach
relativ kurzer Zeit höhere Ansprüche an ihre Lebensumstände und die Versorgung
im aufnehmenden Land. Sie reagieren darüber hinaus sehr sensibel, wenn sie den
Eindruck gewinnen, sie würden von der aufnehmenden Bevölkerung ausgenutzt oder
ungerecht behandelt.
5. In reichen Staaten mit hohem
Zivilisationsniveau besteht in der Bevölkerung immer weniger Bereitschaft zu
Dienstleistungen in anstrengenden, gefährlichen und sozial gering geschätzten
Bereichen der Sicherheitspolitik wie Polizei oder Militär. Es besteht die Tendenz,
dass solche Staaten die auftretenden Personallücken mit Zuwanderern auffüllen.
Das führt dazu, dass in diesen Sicherheitsbereichen die integrierten Zuwanderer
immer stärker vertreten sind und schließlich die Sicherheitspolitik des Staates
maßgeblich beeinflussen können.
6. Hohe Einwanderungszahlen führen
zur Verunsicherung der eingesessenen Bevölkerung. Auch bei hoher
zivilisatorischer Bereitschaft zur Integration werden negative Vorfälle höher
bewertet und schneller verbreitete als positive Erfahrungen, über die selten
gesprochen wird.
7. Diese Verunsicherung in der
Bevölkerung führt dazu, dass bestehende zivilisatorische und politische Regeln,
Verhaltensmuster und Machtstrukturen in Frage gestellt werden. Machtpolitisch
ambitionierte politische Gruppen oder Persönlichkeiten können diese
Unzufriedenheit ausnutzen, um sich selbst politische Vorteile in der
Bevölkerung zu verschaffen. Es entstehen dadurch politische Machtkämpfe, die im
Grunde nichts mit der Zuwanderungssituation zu tun haben.
8. An diesen politischen
Machtkämpfen, an dem Ausnutzen der Einwanderungssituation zum eigenen
Machtvorteil kann ein Staat zerbrechen.
9.
Deutschland
wird nach 2016 nicht mehr das Land sein, das wir bisher kennen. Ob es aber ein
schlechteres oder ein besseres Land sein wird als vorher, hängt davon ab, was
wir aus der Geschichte lernen.
Prof. Dr. Helmut Reichling, Hochschule Kaiserslautern,
Campus Zweibrücken, 66482 Zweibrücken, Amerikastr. 1 helmut@reichling-zweibruecken.de