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Prof. Dr. Helmut Reichling  zu Themen von gestern, heute und morgen
aktualisiert am: 25.09.2019

 

 

 

 

 

 

 

 

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WAS WOLLEN DIE FRAUEN WIRKLICH?

Eine uralte Geschichte, die mir vor Jahrzehnten einmal eine Freundin erzählt hat.

Unsere Geschichte beginnt mit einem Prinzen.

Dieser Prinz entspricht genau unseren Vorstellungen: Er ist natürlich jung, gutaussehend und mutig. Um letzteres unter Beweis zu stellen, macht er eines Tages genau das, was alle Prinzen in seiner Position unternehmen, er macht sich auf, zieht von seinem väterlichen Schloss in die Welt hinaus und möchte Heldentaten begehen.

Dazu scheint ihm das Abschlachten eines Drachens genau die richtige Aktion zu sein.

Also zieht er in den Drachenwald. Ohne Gefolge, denn kühne Prinzen streiten immer alleine und auch ohne Pferd, damit er sich nahe genug an den Drachen heranschleichen kann.

Schon nach kurzer Wanderung kommt er in den dunklen und dichten Forst. Keine Spur vom Drachen.

Doch plötzlich berührt ihn etwas von hinten. Der Drache höchstpersönlich tippt ihm auf die Schulter.

Wie die meisten seiner Artgenossen kann auch dieser sprechen: „Aha, schon wieder ein Prinz, der seine Tapferkeit dadurch zeigen will, dass er einen Drachen tötet. Du bist jetzt schon der fünfte Prinz in dieser Woche. Vier habe ich schon gefressen. Ich kann schon keine Prinzen mehr sehen. Sie hängen mir im wahrsten Sinne des Wortes zum Hals heraus. Wenn ich jetzt noch einen verschlinge wird mir endgültig schlecht.“

Der Prinz brachte vor Schreck kein Wort heraus.

„Aber ich schlage Dir einen Deal vor“, fuhr der Drache fort, denn das Wort Deal hatte er neu gelernt, „ich werde Dir ein Rätsel aufgeben, Dir eine Frage stellen. Wenn Du sie richtig beantwortest, dann werde ich Dich nicht fressen, sondern mich in einen goldenen Drachen der Weisheit verwandeln.   Ein Drache der überwunden wurde, ohne getötet zu sein, wird nämlich ein solcher. Wenn Du die Frage nicht beantworten kannst, und ich gebe Dir sogar ein Jahr Zeit, dann werde ich Dich fressen.“

Der Prinz hatte sich mittlerweile gesammelt und ihm kam der Vorschlag des Untiers recht fair vor. Also erwiderte er: „Einverstanden, in einem Jahr werde ich Dir das Rätsel lösen. Wie lautet die Frage?“

Der Drache, der sich während des Gespräches gemütlich um den Prinzen herumgeringelt hatte und lässig mit dem Schwanz wippte, grinste: „Die Frage lautet: WAS WOLLEN DIE FRAUEN WIRKLICH?“ Der Drache schien noch schmieriger zu grinsen und seine Schwanzspitze stand steil in die Höhe. „Du hast ein Jahr Zeit. Dann treffen wir uns wieder hier, an genau dieser Stelle. Wenn Du bis dahin die Antwort nicht weist, dann wirst Du gefressen und glaube mir, ich werden dann vierzehn Tage vorher fasten und, falls Du denkst, Du kannst Dich vor mir verstecken, dann irrst Du Dich gewaltig. Ich werde Dich überall finden.“

Damit erhob er sich in die Luft und lies den Prinzen einigermaßen erleichtert aber doch etwas verwirrt zurück.

Ein Jahr dachte unser junger Held als er sich auf den Rückweg zu seines Vaters Schloss machte, das ist eine lange Zeit. Da wird mir schon etwas einfallen.

Die Tage vergingen und wurden zu Wochen und die Wochen zu Monaten.

Die Lösung der Frage, schon fast vergessen im täglichen Leben, wurde auf einmal immer dringlicher. Die Zeit der Beantwortung rückte bedrohlich näher.

Wegen fehlender Erfahrung glaubte der Jüngling die Antwort nicht selber finden zu können. Er befragte Freunde und Bekannte, seine Familie und seine Eltern. Jeder meinte etwas dazu sagen zu können, aber es gab keine grundsätzliche Lösung, die er dem Drachen hätte präsentieren können.

Schließlich nahm der Vater die Angelegenheit selbst in die Hand, denn der alte König wollte ja nicht, dass sein Thronfolger auf diese schändliche Art sein Leben verlieren würde.

Er rief die weisesten Männer seines Reiches an seinen Hof und stellte Ihnen die entscheidende Frage: „WAS WOLLEN DIE FRAUEN WIRKLICH?“

Die Gelehrten traten vor den König. Einer nach dem anderen tat in langen, ermüdenden Reden seine Meinung kund. Der eine sagte dies, der andere sagte wieder etwas anderes, andere völlig Unpassendes oder Unverständliches. Offensichtlich gab es mehr Meinungen als Gelehrte und keiner wollte sich auf eine endgültige Aussage festlegen.

Ganz zum Schluss traf ein alter weiser Mann auf dem Schloss ein. Er war später gekommen als die Anderen, denn er hatte sich schon vor langer, langer Zeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seine ehemals schwarzen Haare waren dünn geworden und sein Bart schneeweiß. Die Leute sagten über ihn, er könne in die Zukunft schauen und wisse mehr als alle anderen zusammen.

Er trat vor den König und sagte: „Ich weiß die Antwort auf die Frage auch nicht. Wenn es im ganzen Königreich jedoch jemanden gibt, der die Antwort kennt, dann ist das die Hexe, die im entferntesten Winkel des Reiches, auf der anderen Seite des hohen Gebirges, jenseits der großen Sümpfe in einer Hütte lebt. Diese Hexe sollte der Prinz befragen.“

Das war nicht gerade ermutigend aber die Zeit wurde immer knapper.

Also machte sich der Prinz wieder auf den Weg. Auch diesmal wieder allein. Er durchquerte den großen finsteren Wald in der Mitte des Reiches, überstieg steile Berge und gefährliche Abgründe und bezwang die Gefahren der tückischen Sümpfe.

Schließlich stand er vor der schaurigen Behausung der Hexe.  Er trat ein und sah sie im Schein eines flackernden Feuers, das unter einem großen Kessel brannte. Eine schwarze Katze musterte den Eindringling mit glühenden Augen und vor ihm wurden Schlangen, Kröten und anderes unappetitliches Getier in den Kessel geworfen, in dem sicher ein gefährlicher Zaubertrank brodelte.

„Ich kenne Dich,“ redete ihn die Hexe aus dem Dunkel ihrer Behausung heraus an, „Du bist der Prinz des Landes der vom Drachen gefressen wird, weil er nicht die Lösung des Rätsels weiß.“

Der junge Mann wunderte sich, gleich erkannt worden zu sein, denn seine Aufmachung war nach den Strapazen der Reise nicht mehr sehr ansehnlich. Seine Hosen waren zerrissen, das Hemd hing ihm in Fetzen vor der nackten Brust und die Arme wurden nur noch von Stofffetzen bedeckt.

„Ja das bin ich, aber ich werde nicht gefressen, wenn Du mir hilfst. Man hat mir gesagt, Du wärest die einzige, die eine Antwort auf die Frage hat: WAS WOLLEN DIE FRAUEN WIRKLICH?“

Aus der Dunkelheit vernahm der Prinz ein leises Kichern. „Ich weiß die Antwort.“

„Dann bin ich gerettet. Es soll Dein Schaden nicht sein, wenn Du mir die Antwort gibst. Ich werde Dir statt Deiner Hütte eine stattliche Villa bauen lassen, Du bekommst 1.000 Goldstücke und Deine Katze ein silbernes Halsband.“

Aus der Dunkelheit hörte er nur ein spöttisches Lachen. Der Prinz bekam es mit der Angst.

„Sag mir was Du haben möchtest und wenn es das halbe Königreich ist.“

„So billig kommst Du mir nicht davon“, erwiderte die Hexe, „die Antwort werde ich Dir nur sagen, wenn – Du mich heiratest!“

Der Prinz erschrak zutiefst. Damit hatte er nicht gerechnet. Sogleich fiel ihm das schmierige Grinsen des Drachen wieder ein und er glaubte seinen heißen Atem und seinen Mundgeruch zu spüren. Er hatte keine andere Wahl.

„Ja ich werde Dich heiratet, wenn Du mir die Antwort auf die Frage verrätst: WAS WOLLEN DIE FRAUEN WIRKLICH?“

„Die Antwort lautet,“ sagte die Hexe,“ dass man den Frauen ihren Willen lässt. Und jetzt mach Dich schleunigst auf den Weg, denn der Drache wartet sicher schon auf Dich.  Wir sehen uns bei der Hochzeit.“

Schweiß gebadet, verwirrt aber doch irgendwie erleichtert über die eindeutige Antwort verlies der Prinz die Hütte. Die Zeit war wirklich knapp geworden und der Weg zurück war noch weit.

Über Sumpf und Gebirge kam er gerade noch rechtzeitig im Wald an.

Dort wartete schon der Drache. Er wirkte etwas gereizt, denn er hatte seit Wochen nichts mehr gegessen.

„Na hast Du die Antwort?  WAS WOLLEN DIE FRAUEN WIRKLICH?“

Der Prinz zögerte keinen Augenblick. „Die Frauen wollen, dass man ihnen ihren Willen lässt!“

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, erhob sich der Drachen in die Höhe. Vor seinen Augen verwandelten sich die Schuppen von dunkelgrün in gleißendes Gold.  Majestätisch in der Sonne glitzernd entschwebte er mit leichtem Flügelschlag in die Wolken. Die Leute erzählen, er sei nach Osten geflogen und diene seit dieser Zeit als Wappentier dem Kaiser von China.

Jetzt war unser junger Held wirklich erleichtert. Frohgemuht wanderte er dem väterlichen Schloss entgegen. Es kam ihm so vor, als sei er aus einem bösen Traum erwacht. Der Himmel war blau, die Sonne warm und die Vögel zwitscherten auf den Bäumen.

Die Hexe und sein Heiratsversprechen hatte er schon fast vergessen.

Bis er im Schloss ankam.

Dort wartete sie nämlich schon auf ihn.

Jetzt sah er die Hexe das erste Mal in vollem Licht.

Noch nie in seinem Leben hatte er eine so hässliche Frau gesehen.

Die Beine waren dick wie die eines Elefanten und dazu unsagbar krumm, getragen von Füßen wie von einer Gans. Die Hüften waren breit und das Hinterteil glich einem schwangeren Brauereipferd. Sie war buckelig und ab dem Nabel verwachsen. Ihr Gesicht glich einer grinsenden zahnlosen Fratze unter strähnigen fettigen Haaren.

Der Prinz erschrak aber es half alles nichts.

Zugleich wurde die Hochzeit gefeiert.

Ein Drama.

Die Hexe benahm sich unsäglich. Sie schmatzte und rülpste bei Tisch. Sie schüttete sich mit Rotwein zu und wischte den fettigen Mund mit dem feinen Tischtuch ab, erzählte obszöne Witze und beleidigte die anwesenden Besucher.

Einer nach dem anderen der geladenen Hochzeitsgäste verabschiedete sich eiligst.

Nur noch der Prinz und seine Gemahlin waren übrig.

„Jetzt kommt das Schönste,“ grinste die Hexe, „die Hochzeitsnacht!“ und sie ging schon voraus in das vorbereitete Brautgemach.

Der Prinz bleib allein zurück und dachte sich, es wäre vielleicht besser gewesen, sich vom Drachen fressen zu lassen.

Vorsichtig schlich er sich in das gemeinsame Schlafzimmer.

Im flackernden Kerzenschein des Raumes blickte er zuerst auf das Bett.

Er traute seinen Augen nicht. Vor ihm lag das schönste Mädchen, das er jemals in seinem Leben gesehen hatte.

Nackt lag sie ausgestreckt vor ihm. Lange schlanke Beine, feste Schenkel, schmale Hüften und ein atemberaubender Busen, ein ebenmäßiges schön gestaltetes Antlitz mit leuchtend blauen Augen, der Kopf umrahmt von vollen goldblonden Haaren die weit über das seidene Betttuch fielen.

„Da wunderst Du Dich,“ sprach das Mädchen. „ich bin die Frau, die Du heute geheiratet hast.  Meine Zauberkräfte ermöglichen es mir, beiderlei Gestalt anzunehmen. Ich kann die hässliche Hexe sein und auch das Mädchen das Du jetzt vor Dir siehst.

Entscheide nun. Soll ich tagsüber die alte Hexe sein und nachts bei Dir liegen als das Mädchen das Du jetzt siehst, oder willst Du lieber, dass ich in der Nacht die alte Hexe bin und über Tag die bildschöne Königin an Deiner Seite? Triff die richtige Entscheidung!“

 

Bis zu diesem Punkt habe ich die Geschichte oft meinen Studenten erzählt. Jedes Mal warf ich diese Frage in die Runde und erwartete die Antwort meiner Zuhörer. Die einen entschieden sich für die Nacht, andere für den Tag.

Meistens war es dann eine Studentin, der die richtige Antwort einfiel und die ihre männlichen Mitstudenten daran erinnerte, dass der Prinz eigentlich seine Lektion gelernt haben müsste.

WAS WOLLEN DIE FRAUEN WIRKLCH?

Der Prinz in unserer Geschichte hatte seine Lektion gelernt und so antwortete er:

„Nicht ich will entscheiden, sondern Du entscheidest was Du willst.“

Das war genau die richtige Antwort.

Fortan nahm das Mädchen niemals mehr die Gestalt der Hexe an, sondern war in der Nacht so wie er sie vor sich sah und tagsüber stets die schöne und bewundernswerte Königin, die ihren Mann mit Stolz erfüllte.

 

Prof. Dr. Helmut Reichling, Zweibrücken 2019