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Prof. Dr. Helmut Reichling  zu Themen von gestern, heute und morgen
aktualisiert am: 01.12.2018

 

 

 

Die wahre Geschichte des Einhorns
Prof. Dr. Helmut Reichling, Zweibrücken im Dezember 2018

Wohl kein Fabelwesen faziniert die jungen Mädchen schon seit Jahren so sehr wie das Einhorn.

Das liegt wohl nicht nur an dem emotionalen Animationsfilm von Jules Bass und Arthur Rankin jun. aus dem Jahr 1982, oder der romantischen Erzählung von Peter S. Beagle, die diesem Film zugrunde lag, sondern an dem Zauber den dieses Wesen zu allen Zeiten auf die Menschen ausgeübt hat.

 

 

 

 

 

 

Die ersten Berichte über dieses Wesen sind bereits in der Antikeentstanden.

Die ersten sicheren Beschreibungen überliefert uns Ktesias von Knidos, ein Grieche, der etwa 450 v. Chr. lebte.

Er wirkte als Leibarzt am Hof des persischen Großkönigs Artaxerxes II, in unterschiedlichen Funktionen bereiste er das persische Reich und die angrenzenden Länder. Seine diversen Reiseberichte umfassen auch das nördliche Indien.

In seinen Schilderungen finden wir neben einer zutreffenden Darstellung des indischen Elefanten auch zahlreiche wundersame Wesen wie unter anderem eine Beschreibung des Einhorns.

Die Angaben des Ktesias wurden von den meisten antiken Autoren wie Aristoteles oder Plinius dem Älteren übernommen.

Der Arzt beschreibt das Einhorn als ein Wesen mit einem Horn auf dem Haupt, das wild und sehr kräftig sei. Das Horn des Tieres habe eine antitoxische Wirkung und sei daher medizinisch sehr wertvoll.

Bezeichnen wir hier einmal dieses Einhorn vorläufig als „Einhorn des Ostens“.

Fast 500 Jahre nach Ktesias berichtet Julius Cäsar bei seiner Beschreibung der Tierwelt des Hercynischen Waldes, dem Harz, von einem Tier das durch ein gerades Horn zwischen den Ohren gekennzeichnet ist.

Diese Tiere, die hirsch- oder ziegenähnlich geschildert werden, hätten keine Gelenke und können sich daher nicht zum Schlafen niederlegen. Stattdessen lehnen sie sich zum Schlafen an Bäume an.

Die Jäger suchen nun die Schlafbäume der Einhörner, sägen diese an, so dass das Tier, wenn es sich zum Schlafen anlehnt umfällt und nicht wieder aufstehen kann. So wird das Einhorn zur Strecke gebracht.

Nennen wir diese Art des Einhornes vorläufig mal „Einhorn des Westens“.

Dabei sollten wir jedoch davon ausgehen, dass sich die germanischen Jäger noch jahrelang vor Lachen auf die Schenkel geschlagen haben, was sie den Römern für ein „Jägerlatein“ aufbinden konnten.

Um das zweite nachchristliche Jahrhundert entstand ein Standartwerk der Tier- und Pflanzenwelt der sogenannte Physiologus.

Der Physiologus ist keinem einzelnen Verfasser zuzuordnen, sondern einer ganzen Reihe von Verfassern die an ihm schrieben, erweiterten und verbesserten.

Ihn übersetzten und verbreiteten.

Ursprünglich in griechischer Sprache, dann in Latein, schließlich auch in Althochdeutsch.

Man könnte diesen Physiologus als einen Vorläufer von Wikipedia bezeichnen.

In der Spätantike und im Mittelalter war der Physiologus die wichtigste Quelle, wenn man sich über Tiere und ihr Verhalten informieren wollte.

Hier bekommt das Einhorn wohl ausgehend von Cäsars Beschreibung seine endgültige Form.

Es hat keine Pferdehufe, sondern gespaltene Hufe wie ein Hirsch, keinen Schweif wie das Pferd, sondern einen Wedel wie der Hirsch und vom Ziegenbock stammt der Ziegenbart am Haupt des Einhorns.

Dabei lernen wir auch eine  Jagdart auf das Einhorn kennen als die von Cäsar beschrieben:

Ein Einhorn kann nach dem Physiologus nur von einer Jungfrau eingefangen werden. Nur einer Jungfrau lege das Einhorn sein Haupt zutraulich in den Schoß.

Damit wurde das Einhorn zum Symbol der Reinheit und der Jungfräulichkeit schlechthin.

Damit bekam dieses Tier seinen festen Platz in der bildenden Kunst, in der Ikonographie und in der Heraldik.

Dass das Einhorn bereits in der Bibel erwähnt wird, ist eindeutig ein Übersetzungsfehler Luthers der sich bis in unsere aktuellen Bibelausgaben gehalten hat. An mehreren Stellen im Alten Testament ist von einem Tier namens „Re´em“ die Rede, das ein sehr kräftiges und wildes Tier sein soll.

Da Luther kein Hebräisch konnte bediente er sich bei seiner Übersetzung der Bibel des griechischen Textes der Septuaginta und des lateinischen Textes der Vulgata des heiligen Hieronymus.

An den betreffenden Textstellen lesen wir allerdings statt „monoceros“ „rhinoceros“, was in der griechischen Schrift leicht zu verwechseln ist. Durch diesen Fehler Luthers kommen wir dem Geheimnis des „Einhorn des Ostens“ schon ein großes Stück näher.

Im Mittelalter erwähnen Hildegard von Bingen und Albertus Magnus in medizinischen Traktaten das Einhorn und weisen auf die heilsamen Kräfte des Einhorn Horns. Landauf, landab erinnern auch heute noch „Einhorn-Apotheken“ an diese Attribution.

Dennoch konnte bis ins 13.Jahrhundert niemand behaupten er habe ein lebendiges Einhorn gesehen.

Waren im Mittelalter die keuschen Jungfrauen so selten wie heutzutage?

Erst Marco Polo, der Venezianische Kaufmann, der im 14. Jahrhundert viele Jahre am Hofe des großen Kubilay Kahn in China gelebt hat, berichtet in seinen Reisebeschreibungen er habe auf Sumatra ein Einhorn gesehen.

Die Beschreibung passt genau auf ein Nashorn.

Damit ist das Rätsel um das östliche Einhorn gelöst. Es handelt sich um ein Nashorn.

Zur Zeit Marco Polos bevölkerte dieses Spitzmaulnashorn noch Ostasien vom Himalaya bis in das heutige Indonesien. Ein scheuer Waldbewohner, der wesentlich kleiner und stärker behaart ist als seine afrikanischen Verwandten. 

Wie das afrikanische Nashorn ist das Spitzmaulnashorn akut vom Aussterben bedroht. Manche Unterarten sind schon ausgestorben und von anderen Populationen sind nur noch Reste von ganz wenigen Exemplaren in freier Wildbahn.

Der Grund dafür ist das Horn dieses Einhornes dem nach- wie vor eine ungeheure medizinische Wirksamkeit nachgesagt wird.

In Ostasien gilt das Horn als das ultimative Potenzmittel und wird mit einem Vielfachen seines Gewichtes in Gold gehandelt.

Nach dem nun das Einhorn des Ostens geklärt ist, wenden wir uns wieder dem Einhorn des Westens zu.

Dazu finden wir Bemerkenswertes in den historischen Beständen der Bibliotheca Bipontina, der ehemaligen Herzoglichen Bibliothek in Zweibrücken.