Daher will ich hier etwas über Zwerge erzählen.
Viele von uns kennen noch das Märchen vom „Schneewittchen“
der Gebrüder Grimm, das auch von Walt Disney im Jahre 1937 als erster
abendfüllender Animationsfilm dem Publikum vorgestellt wurde.Es handelt sich hierbei um eine Geschichte, die wohl einen
wahren Kern hat, den die Allerwenigsten kennen.
Aber was sind Zwerge eigentlich, woher stammen sie und hat
es sie vielleicht wirklich gegeben?
Die Zwerge aus unseren Märchen haben zunächst nichts mit
kleinwüchsigen Menschen oder sogenannten Liliputanern zu tun. Die sogenannte
Mikrosomie ist eine Folge von Wachstumsstörungen im Kindesalter. Im Barock waren solche Menschen an den Fürstenhöfen sehr
begehrt. Sie waren wegen ihrer ungewöhnlichen Erscheinung als Spaßmacher
beliebt und manch einer von ihnen erlangte die Stellung eines sogenannten
Hofzwerges. Besonders die eitlen Damen am Hof traten gern neben den
Hofzwergen auf, um dadurch ihre Schönheit besser zu Geltung zu bringen.
Zwerge, wie wir sie hier verstehen, waren in uralten Zeiten
mystische Wesen in der Erzähltradition der nordischen wie auchder antiken klassischen
Sagen.In der Edda, der Sagensammlung der nordischen Mythen, ist
bereits von Zwergen die Rede. Unser deutsches Wort Zwerg ist dabei eng verwandt mit dem
englischen Wort „dwarf“ oder dem schwedischen Wort „dvärg“.
Damit werden geheimnisvolle Wesen beschrieben, die lange vor
den Menschen entstanden sind, vielleicht zeitgleich mit den Göttern. Sie leben
abgeschieden in dunklen Gefilden und wurden zu den Alben gerechnet, zu denen
auch die Feen gehören. Sie werden daher auch als die dunklen Alben bezeichnet.
In ihren unterirdischen Behausungen, manchmal sogar in
goldenen Palästen in der Tiefe der Erde, gehen sie als geschickte Bergleute und
Handwerker ihrer Arbeit nach. Bei dieser Tätigkeit übertreffen sie bei Weitem
die Fähigkeiten und die Geschicklichkeit der Menschen, von denen sie sich meist
fernhalten. Ihre handwerkliche Kunstfertigkeit ist unübertroffen und geht in
Zauberei über.So verfertigen Zwerge Odins Speer oder auch Thors Hammer.
Alle diese Eigenschaften der nordischen Zwerge besitzen auch
die Zwerge unserer deutschen Märchenwelt. Mit einem Unterschied: Die nordischen
Zwerge werden nicht ausdrücklich als kleinwüchsig geschildert.
Auch die klassischen Sagen der griechischen Antike kennen
die Zwerge. Sie heißen dort „Fäustlinge“, was dem deutschen Ausdruck „Däumling“
entspricht, auf Griechisch „Pygmäen“.Diese Zwerge beschreibt schon Homer in der Ilias und erwähnt
dabei, wie die kleinen Zwerge im Herbst gegen die Kraniche kämpfen müssen, die zu
dieser Zeit wieder in ihre Brutgebieten einfallen. Auch jene Pygmäen der
klassischen Sagen gelten als geschickte Künstler, Handwerker und Bergleute.Das Zwergenthema wurde von den Schriftstellern der Antike
gerne aufgegriffen und gerade der Kampf der Zwerge mit den Kranichen wurde häufig
in der bildenden Kunst dargestellt.
Im Gegensatz zu den nordischen Zwergen sind sie
kleinwüchsig, „Pygmäen“ eben.
Zahlreiche Autoren der griechischen Antike sind der Frage
nachgegangen, ob es diese Zwerge wirklich gibt und wie und wo sie leben.Die meisten der damaligen Wissenschaftler vermuteten den
Wohnort dieser Pygmäen am Rande der besiedelten Welt.Der Philosoph Aristoteles glaubte ihre Heimat seien die
Gebiete der Nilquellen in Zentralafrika und der Forschungsreisende und Arzt
Ktesias will Zwerge im nördlichen Perserreich gesehen haben.Ktesias von Knidos war ein durchaus ernst zu nehmender
Beobachter. Als Leibarzt des persischen Großkönigs bereiste er Asien und ihm
verdanken wir auch die ersten Berichte von Einhörnern.Ktesias hat dabei sehr zutreffend das asiatische Waldnashorn
als Einhorn beschrieben.
Jeder Mythos hat irgendwie einen wahren Kern und daher
sollten wir uns die Geschichte vom Kampf der Zwerge mit den Kranichen einmal
näher anschauen.Das südlichste Brutgebiet der Kraniche befindet sich in
einer Gegend, die in der Antike als Phrygien bezeichnet wird und wohl hier
können wir die Heimat der Zwerge als einer Pygmäenpopulation vermuten, die sich
dort über sehr lange Zeit gehalten hat. Damit hätte Ktesias von Knidos recht.
Aber auch die Annahme von Aristoteles, die Heimat der Pygmäen
sei südlich des Nils, in Zentralafrika zu suchen, ist richtig.Aus altägyptischen Hieroglyphen ist zu entnehmen, dass die
ägyptischen Pharaonen bereits im 23. Jahrhundert vor Christus an ihren Höfen
sogenannte Tanzzwerge hielten. Diese Zwerge sollen aus dem sagenhaften Königreich Punt
stammen, das für seinen Goldreichtum berühmt war.Noch heute leben in Zentralafrika Pygmäen Stämme mit einer
Population von etwa 150 bis 200 Tausend Menschen. Die Kleinwüchsigkeit jener
Stämme wird genetisch vererbt und hat sich wegen der Abgeschiedenheit dieser
ethnologisch sehr interessanten Menschen bis in unsere Tage erhalten.
Richten wir also auf der Suche nach den Zwergen unserer
Märchen den Blick zunächst auf Phrygien und die Pygmäen Stämme, die vielleicht
vor tausend Jahren dort ihr Siedlungsgebiet hatten.Diese Landschaft der heutigen Türkei hat eine wechselvolle
Geschichte: Im Mittelalter gehörte sie zum Osmanischen Reich, in der Antike zum
römischen Imperium, zuvor zum Alexanderreich und davor zum persischen Großreich.
Bevor Phrygien von diesen Großmächten einverleibt wurde, war
es ein selbstständiges Königreich eines indogermanischen Volksstammes, der
ursprünglich Bryger genannt wurde, das soviel bedeutet wie Bergarbeiter. Die
Menschen verfügten über Kenntnisse und Fähigkeit in Handwerk und Baukunst, mit
denen sie die umliegenden Völker weit übertrafen.
Phrygien ist auch die Heimat des sagenhaften Königs Midas, von
dem erzählt wurde, dass alles, was er berührte zu Gold wurde, und hier fließt
auch der Fluss Paktolos, der in der Antike als einer der goldreichsten Flüsse
der Welt galt.Offenbar lebten dort Menschen, die sich auf den Bergbau und
die Metallgewinnung verstanden.In entlegenen Bergtäler Phrygiens hausten die Pygmäen oder
Zwerge und gingen ihrer Beschäftigung nach, die dem ganzen Land Reichtum und
Wohlstand bescherte.
Ihre traditionelle Kleidung war die phrygische Mütze, die
sich im Altertum als äußerst brauchbare Kopfbedeckung nicht nur bei den Bergleuten,
sondern auch bei den Seeleuten Verbreitung gefunden hatte.Diese phrygische Mütze war traditionell aus dem Hodensack
eines Stieres gefertigt. Sie war sehr widerstandsfähig. Charakteristisch ist
dabei der lange runde Zipfel. Diese Kopfbedeckung bedeckte auch die Schultern
und zuweilen auch den Nacken. Sie war also ideal für Arbeiten an gefährlichen
Orten, besonders in Bergwerken.Zur Kaiserzeit war diese Kopfbedeckung auch im antiken Rom
verbreitet. Sie wurde verziert und rot gefärbt, von freigelassenen Sklaven
getragen, die damit ihren neuen Stand und ihre Freiheit nach außen zum Ausdruck
bringen wollten. Dementsprechend wurde Jahrhunderte später diese phrygische
Mütze zum Symbol der französischen Revolution und dem von der Knechtschaft
befreiten Volk.
Diese phrygische Mütze ist auch die typische Kopfbedeckung
unserer Zwerge in den Volksmärchen.
Obwohl der Bergbau in Deutschland schon eine lange Tradition
hatte, wurden im Mittelalter neue Technologien notwendig, um die vorhandenen
Gold- und Silbervorkommen zu erschließen.Das legt die Vermutung nahe, dass Fürsten, in deren
Herrschaftsgebiet Edelmetalle unter der Erde gefunden wurden, Spezialisten aus
fernen Ländern angeworben haben.Solche Spezialisten waren vielleicht auch die phrygischen
Bergarbeiter der erwähnten Pygmäen Stämme.
In der damaligen Zeit war in Deutschland der Harz ein Gebiet,
in dem in zahlreichen Bergwerken wertvolle Metalle, besonders auch Silber und
Gold abgebaut wurden. Hunderte Bergwerke entstanden und hatten einen großen
Bedarf an kleinwüchsigen und erfahrenen Bergleuten aus Phrygien. Die kamen ins
Land und lebten in abgeschiedenen Bergmannssiedlungen in der Nähe der
Bergwerke.Noch heute zeigt man im Harz den interessierten Touristen
das Schloss der Grafen von Stolberg als das Schneewittchenschloss.
Rund um dieses Schloss waren in alter Zeit bei den Bergwerken
mehrere Bergmannscamps entstanden.Vielleicht finden wir hier den Ursprung des Märchens vom
Schneewittchen: Eine Fürstentochter wird wegen Erbstreitigkeiten, oder wegen
ihrer Schönheit von der bösen Stiefmutter mit dem Tode bedroht und rettet sich
in ein Bergarbeiter Camp im Wald, wo sie quasi als Groupie von den Zwergen
aufgenommen und beschützt wird.
In den überlieferten Märchen überlagerten sich bald die
Geschichten von den nordischen Zwergen und die Beobachtungen der Menschen, die
tatsächlich den phrygischen Pygmäen als den Gastarbeitern des Mittelalters
begegnet waren.Zwerge galten als geheimnisvoll, weil man sie wegen ihrer
Arbeit unter Tage nicht zu Gesicht bekam. Nur manchmal begegnete man einem von
ihnen im Wald und man vermutete, sie verfügen über geheimes Wissen, vielleicht
sogar über Zauberkräfte.
Die von den Gebrüder Grimm gesammelten Hausmärchen taten das
ihrige, um aus den Zwergen Zauberwesen zu machen, denn Jacob und Wilhelm Grimm
hatten sich natürlich auch aus dem Sagenschatz der Skandinavier bedient sowie
den Zwergenmythen aus dem Norden.So war bald das Erscheinungsbild des Zwerges festgelegt, wie
wir es kennen: Sie sind klein, tragen einen weißen Bart und eine rote
Zipfelmütze.Sie halten sich von den Menschen verborgen im Wald auf und
arbeiten bevorzugt in Bergwerken.Treten sie in Gruppen auf, so sind sie stets freundlich und
hilfsbereit. Sie beschenken Menschen, die ihnen Gutes tun.
Zwergenfrauen gibt es in diesen Erzählungen an keiner
Stelle. Das stützt unsere Vermutung von den phrygischen Pygmäen, die
als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, denn während die Männer meist jahrelang
in der Fremde in den Bergwerken arbeiteten, blieben die Frauen zu Hause in der
angestammten Heimat.
Denken wir in diesem Zusammenhang auch an die
Heinzelmännchen in Köln.Auch sie waren Zwerge, die für die Handwerker in der Nacht
die Arbeit erledigten, bis eine vorwitzige Frau Erbsen ausstreute, auf denen
die kleinen Menschen ausrutschten und so die Stadt verließen.Der Name Heinzelmännchen wurde von der bekannten Ethnologin
und Sagenforscherin Marianne Rumpf auf den Begriff „Heinz“ oder „Heinzenkunst“
zurückgeführt. Darunter verstand man früher die Technik des fachgerechten Abtäufens
der Bergwerke, also die Wasserabführung im Berg. Der Heinzelmann war also der
Bergmann, der mit dieser wichtigen Aufgabe betraut war. Wir sehen also auch die Heinzelmännchen haben einen ganz
engen Bezug zum Bergbau.
Beschäftigen wir uns zum Schluss noch mit der Frage, warum
diese geheimnisvollen Zwerge einfach verschwunden sind.In den Märchen wird ihr Verschwinden immer wieder mit
neugierigen Personen in Verbindung gebracht, die in irgendeiner Weise in die
Parallelgesellschaft der Zwerge eingedrungen sind. Manchmal lesen wir auch von Menschen, die den Zwergen aus
Dankbarkeit für ihre Arbeit Kleider geschenkt haben, über die sich das kleine
Volk zwar sehr freute, aber dieses Geschenk zum Anlass nahm sich von den
Menschen zurückzuziehen.Wir können vielleicht in diesen Erzählungen fehlgeschlagene
Versuche erkennen, die Fremden in die Gesellschaft der damaligen Welt zu
integrieren.
Das Verschwinden der Zwerge wie wir sie aus den Märchen
kennen, hat, wie ich glaube, einen viel einfacheren natürlichen Grund.
Allmählich wurden die phrygischen Pygmäen doch in die
Gesellschaft ihrer Gastländer integriert. Manch klein gewachsenes Mädchen mag
einen der größeren der Pygmäen geheiratet haben und führte mit diesem
erfahrenen Spezialisten ein glückliches Leben. Pygmäen sind keine eigene
Menschenrasse. Es kann zu fruchtbaren Verbindungen kommen und das Gen, das die
Kleinwüchsigkeit verursacht, wird im Laufe der Generationen immer durch andere
Erbanlagen überdeckt. Mag der Urgroßvater noch ein Pygmäe gewesen sein, so
haben die Enkel nur noch einen Bruchteil der ursprünglichen Veranlagung zur
Kleinwüchsigkeit. Das Gleiche gilt auch für die ursprünglichen Stämme in
Phrygien, die durch Vermischung mit der umliegenden Bevölkerung diese typische genetische
Disposition verloren haben.Nur die Pygmäen in Zentralafrika haben sich wegen ihres
abgesonderten Lebensraumes als kleinwüchsiges Volk erhalten.
Unsere Märchen erzählen auch von bedauernswerten
Einzelzwergen, die wohl in den tiefen Wäldern ein einsames und trauriges Dasein
führten.Sie werden meist als bösartig geschildert. Wie der Zwerg im
Märchen von „Schneeweißchen und Rosenrot“ oder der Zwerg mit dem bezeichneten
Namen „Rumpelstilzchen“, der auch vor einer intimen Beziehung mit einer Königin
nicht zurückgeschreckt, um so zu einem Kind zu kommen.
Eine besonders interessante Mischung der deutschen Märchen
und der nordischen Erzähltradition stellen die Wichtelmänner dar.In den Volksmärchen der Gebrüder Grimm steht Wichtel
gleichbedeutend für Zwerg. Wichtel ist die Verkleinerungsform für Wicht, also ein
lebendiges Wesen. In Skandinavien heißen die Wichtel, „Nissen“ und dazu
gehören die sogenannten Julnissen, also die Weihnachtswichtel.Der Weihnachtswichtel trägt eine rote, pelzbesetzte
Zipfelmütze und ein rotes Wams. Er kommt durch den Kamin oder eine eigens zur
Weihnachtszeit für ihn gefertigte Wichteltür in die Wohnstuben und bringt die
Geschenke. Der Weihnachtswichtel kommt geheimnisvoll in der Nacht und
darf keinesfalls bei seiner Arbeit gestört werden.
In der neueren angelsächsischen Erzähltradition vermischen
sich dann die Weihnachtswichtel mit dem heiligen Nikolaus und werden
schließlich zum Typus des Weihnachtsmanns, wie ihn der amerikanische Zeichner
Thomas Nast dargestellt hat.Schon in dem bekannten Gedicht, „The night, bevor Christmas“
aus dem Jahre 1823 wird der Weihnachtsmann noch als „lustiger alter Elf“
bezeichnet.Der Brauch des sogenannten „Wichtelns“ zu Weihnachten, der
sich auch bei uns immer mehr durchsetzt, geht auf den skandinavischen
Weihnachtswichtel, also einen Zwerg zurück.Wenn der US-amerikanische Weihnachtsmann, Santa Claus, in
der Vorstellung der Kinder heute am Nordpol lebt und unterstützt von seinen
Zwergen als Helfern, Spielsachen produziert, dann ist das eine logische
Weiterentwicklung der uralten Zwergenmythen.
Wer mehr über die Entstehung des Weihnachtsmanns erfahren
möchte, sollte sich einmal meine Videos zum Thema Weihnachtsmann auf meinem
YouTube Kanal ansehen.
Noch einmal zurück zum Gartenzwerg.Er trat seinen Siegeszug durch die deutschen Gärten im Jahre
1872 an. Damals wurden in Thüringen zwei Fabriken gegründet, die Gartenzwerge
in Massen- und Serienproduktion herstellten.
So war der Zwerg in tönerner Form wieder in seine Heimat
rund um den Harz rückgekehrt.